nathan der weise

Die ganze Welt: Premiere von Nathan der Weise im Kleinen Haus

Wann ist etwas aktuell? Der Duden hält zwei Erklärungen für das Adjektiv bereit. Zum einen: gegenwärtig existierend und vorhanden, zum anderen: zeitgemäß und modern. „Nathan“ ist ein Phänomen, denn er bedient alle diese Beschreibungen aufs Beste – und zwar seit 236 Jahren. Tag für Tag. Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ erzählt eine Geschichte, in der es um Weltanschauungen geht, um Religionen und Familienbande, um die dringend benötigte Toleranz und den verheerend wirkenden Fanatismus.

Wie schön, dass Regisseur Wolfgang Engel bei der Inszenierung im Schauspielhaus nah an Lessing dran geblieben ist. Er ließ Dresdens dunkle Montagabend-Seite – bei den Premieren der vergangenen Monate immer wieder und teils brachial in jedwedes Stück reingequirlt – diesmal außen vor, vertraute ganz auf die Wachheit der Zuschauer und darauf: Eine sächsische Aktualisierung des Aktuellen braucht es nicht. Sie versteht sich von selbst.

Eines der schönsten Gleichnisse

nathan der weise 1111

Nathan der Weise: Lieke Hoppe, Kilian Land, Philipp Lux, Matthias Reichwald und Nele Rosetz (v.l.n.r.). Foto: David Baltzer

Zur Geschichte: Sie wurde, wie schon gesagt, vor 236 Jahren aufgeschrieben, und spielt zur Zeit der Kreuzzüge. In Jerusalem treffen sich drei Religionen: Sultan Saladin ist der muslimische Herrscher. Er trifft den reichen Juden Nathan, der einst ein christliches Findelkind zu sich nahm und dies als seine Tochter – sozusagen religionsfrei – aufgezogen hat. Dann sind da noch die christliche Haushälterin Nathans und der junge, vom Sultan eben begnadigte Tempelherr, der Nathans Tochter aus dem Feuer rettet und sich in sie verliebt.

So viel vorab: Die Christen kommen bei Lessing äußerst schlecht weg, vor allem der Patriarch, der in Jerusalem über die Christen herrscht, und nicht mal einen Millimeter über seinen engen Standes- und Glaubensdünkel hinweg sehen kann. Der Hellste im engstirnigen gesellschaftlichen Dunklen ist Nathan, der Jude. Ja, er ist reich. Aber er ist auch klug. Und er zeigt Mitgefühl, eines, das aus eigener bitterer Erfahrung bei ihm zu menschlicher Größe gewachsen ist.

Seine Frau und seine Söhne wurden ermordet. Doch statt zu rächen, hat er die Todesspirale unterbrochen und Recha, das Findelkind, zu seiner Tochter gemacht. Als der Sultan ihn fragt, welche Religion wohl die wahre sei, malt Nathan ihm das Bild der Ringparabel: Jenes von dem König mit dem wertvollen Ring, der „vor Gott und den Menschen angenehm macht“. Der König soll den Ring dem Sohn vererben, der ihm am liebsten ist. Doch er hat drei Söhne – und alle gleich lieb. So lässt er gleichwertige Ring-Kopien anfertigen. Es ist eines der schönsten Gleichnisse in der Literatur: Nicht der Name der Religion ist wichtig, sondern das Dahinter. Jene ist die wahre, die „vor Gott und den Menschen angenehm“ ist, im günstigsten Fall sind es alle drei.

Eindrucksvolle Hommage ans Theater

Diese großartige Geschichte hat in der Inszenierung am Kleinen Haus ihre passenden Akteure bekommen, allen voran Philipp Lux als Nathan. Es ist, ganz abgesehen von seiner körperlichen Größe, überragend, wie souverän er den schmalen Grat entlanggeht, der Vertrauen von Argwohn trennt, Nächstenliebe von Egoismus und Klugheit von Arroganz. Ins Schwanken kommt er erst, als ihm der Verlust der Tochter droht.

Matthias Reichwald als Sultan gibt den kühl kalkulierenden Machtmenschen, immerhin beeindruckt von Nathans Klugheit und Großmut. Das Zusammenspiel dieser beiden wunderbaren Schauspieler ist eine fabelhafte Hommage ans Theater. Dazu die Auftritte des Tempelherrn, gespielt von Kilian Land, die weit mehr sind als Nebenschauplätze, ebenso jener gefriertruhenkalte Moment des Patriarchen von Lars Jung.

Zu den feinen Charakterstudien kommen die kalenderspruchwirksamen Fragen Lessings, etwa: „Sind Christ und Jude nicht vielmehr Mensch?“ oder: „Sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten?“. Und – gerichtet an den Tempelherrn –: „Was ist das für ein Gott, der für sich muss kämpfen lassen?“

Und auch wenn sich zum Schluss alles etwas zu schnell wirrt, wendet und in überraschend wohlgefälligen Familienbanden auflöst, ist es ein überragender Theaterabend. Vielleicht auch, weil eine unbestimmte Sehnsucht zurückbleibt, jene nach der Welt, die auch ein gleichwertiges Miteinander sein könnte – wie eine große, gut funktionierende Familie.

Übrigens: Die Aufführung läuft mit englischen und arabischen Übertiteln.

Service:

>> Aufführungen am 19. und 21. November sowie am 8. und 30. Dezember im Kleinen Haus
>> Karten: 0351/4913555

 

Das könnte Sie auch interessieren …

56.001 Besucher – Dresdner Musikfestspiele weiter auf Erfolgskurs

Mehr als 56.000 Besucher aus dem In- und Ausland haben in den vergangenen 32 Tagen einer der 67 Veranstaltungen der Dresdner >>>

Hoffmanns Hoffnung – das Dresdner Konzert „Leise Zeichen“ bekam laute Zustimmung

Die Zeiten sind laut. Man „trumpt“ durch die Welt. Und da komme er mit „leisen Zeichen“, begrüßt Klaus Hoffmann sein Publikum >>>

Immer ein doppeltes Spiel – Premiere des Kleist-Stückes „Amphitryon“ im Staatsschauspiel

Wer Stücke kennt, die Heinrich von Kleist geschrieben, und solche, die von Wolfgang Engel inszeniert sind, der dachte >>>

33. Internationales Pantomime Theater Festival mit Künstlern aus zehn Ländern

Vom 10. bis 13. November 2016 laden Ralf Herzog und der Verein Mimenstudio Dresden zum 33. Internationalen PantomimeTheaterFestival >>>

Jazztage Dresden: Start in der Frauenkirche – Erlwein Capitol verdoppelt Konzerte

Zwei Tage vor dem Start der Jazztage Dresden gibt die Jazz-Fusion Legende am Bass, Stanley Clark, morgen, am 2. November, >>>